Supermercado en Cartagena
- Steffi&David
- 18. Sept. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Sept. 2024
Es gibt Sachen in Kolumbien die gehen schnell. Z.B. das Sprechen von Fußballkommentatoren. Während man das eine Wort hört, spricht Juan Pablo schon das Übernächste aus.
Und es gibt Sachen in Kolumbien, die gehen langsam. Z.B. das Reparieren von Klimaanlagen. Un hora ist dabei zu übersetzen mit un dia.
Und dann gibt es noch den Supermercado de Cartagena, der einen völlig neuen Zeithorizont eröffnet.
Aber der Reihe nach:
Auf der Welt gibt es ja so manchen Supermarkt. Der eine ist etwas besser, der andere ein bisschen schlechter. Ich bin ein begeisterter Supermarkttourist. Welche Produkte es in verschiedenen Ländern gibt und wie sie in Szene gesetzt werden, das interessiert mich einfach. Die Freude über allzu langes Warten an der Kassa hält sich bei mir aber in Grenzen. Wie vielleicht nicht jeder weiß, gibt es jedoch Leute, die davon gar nicht genug bekommen können und es toll finden, einen längeren Supermarktkassenschlangenaufenthalt (SKSA) genießen zu können. Dafür wurde von Single Research eine neue, weltweite Rangliste erstellt, die misst, wie lange ein SKSA durchschnittlich dauert. Im Folgenden möchte ich euch die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie präsentieren:
Wir beginnen in Österreich: Weit abgeschlagenen auf Platz 14768 im Ranking findet sich der Hofer in der Brigittenau Nordwest. Die Schlange ist zwar ziemlich lang, das Kassieren geht aber urschnell. Dazu kommt noch ein stetes Urgieren nach einer zweiten Spur. Einen langen SKSA kann man hier wirklich nicht genießen.
Deutlich mehr für sein Geld bekommt man in anderen Supermärkten, besonders aber in den Top 3, die ein wahres Eldorado für Supermarktschlangenanstehenthusiasten sind.
Ich habe sie nun alle drei besucht und auf meiner Bucketlist abgehakt.
Platz 3
Countdown in Napier, Neuseeland
Wir beginnen unseren finalen Countdown mit dem Countdown. Als ich das erste mal diesen neuseeländischen Laden besuchte, konnte ich gar nicht glauben, wie lange eine Schlange in einem Supermarkt sein kann. Sie geht nämlich fast durch das ganze Geschäft. Der Billa am Praterstern kann hier nicht im Entferntesten mithalten. Der 2. Punkt: In Neuseeland wird Smalltalk auch gern zum Longtalk. Ganz so extrem ist es im Supermarkt nicht, Fragen nach der Befindlichkeit verlängern das Warteerlebnis aber. Der Countdown hätte damit eigentlich locker das Potential für Platz eins, doch zwei Gründe verschlechtern seine Performance: Erstens ist der Arbeitseifer der Kassiererinnen nicht von der Hand zu weisen, zweitens sorgen fleißige EinpackerInnen (meist SchülerInnen) dafür, dass du dich vollkommen auf das Zahlen konzentrieren kannst, minimieren aber den Wartespaß. Wäre doch arg, müssten die NeuseeländerInnen ihre Sachen selbst einpacken. (Der Beruf des Supermarktwagenfahrers wird wohl der nächste logische Schritt sein.)
Platz 2
Der Hiperideal in Salvador de Bahia, Brasilien
In Brasilien gehen die Uhren oft ein bisschen langsamer. So auch im Hiperideal in Salvador de Bahia. Kauft man sich zwei Brahma Bier und ein Acaraje im Supermarkt, so reicht die Zeit locker aus, um das Gekaufte auch in der Warteschlange zu konsumieren. Zu diesem Glück trägt neben der langen Schlange selbst, vor allem Relaxtheit der Kassiererinnen bei, die wohl bewusst einen Kontrapunkt zum immer höher, schneller, weiter Dogma anderer Gesellschaften setzen wollen. Irgendwie auch sympathisch!
Platz 1
Der Exito in Cartagena de Indias, Kolumbien
Die unangefochtene Nummer 1 der Supermärkte mit dem größten Wartespaß ist der Exito, seineszeichens Branchenprimus in Cartagena de Indias.
Und was machst du am Nachmittag? Ich gehe Lebensmittel einkaufen. Aja. Dass dann keine Nachfrage mehr kommt, dafür ist der Exito verantwortlich, dessen Name übrigens nichts mit „hier ist der schnelle Ausgang“ zu tun hat, nein, hier wird der äußerst langwierige „Erfolg“ großgeschrieben.
Je nach Tageszeit ist die Supermarktschlange im Exito gar nicht so lang und würde vielleicht für Platz 235 reichen. Allerdings sorgen gleich mehrere Faktoren dafür, dass man sich dennoch die Spitzenposition geholt hat. Auf den ersten Blick die überaus freundliche Art der Kassiererinnen, für die es völlig normal ist mit den Kunden das ein oder andere private Gespräch zu führen.

Der wichtigste Faktor aber: Sie tippen dauernd irgendetwas ein. Dabei handelt es sich meistens um Gutscheine, Rabattcodes, Coupons, Voucher oder alles zusammen. Auch wenn mein Spanisch nicht das Beste ist, aber es scheint, als hätten sie selbst noch nicht von allen Rabattcodes und Zahlungsmöglichkeiten gehört und wissen dann nicht mehr weiter. Manchmal fragen sie in der Folge noch ihre Kolleginnen, was zu weiteren Verzögerungen führt. Auch die KundInnen selbst tippen dauernd irgendwelche Codes in ihr Handy und präsentieren das Ergebnis anschließend stolz der Kassiererin. Dass dies alles mehr als nur ein bisschen Zeit in Anspruch nimmt, versteht sich von selbst.

Hinzu kommt ein weiteres Verzögerungsphänomen. Dabei handelt es sich um ein auch in Europa weit verbreitetes, mir völlig unverständliches Agieren der Konsumenten, das hier in Südamerika durch fehlende Infrastruktur noch verschärft wird. Wir alle kennen das sogenannte Supermarktkassenförderband (SKFB). In häufiger Regelmäßigkeit kommt es hier in Cartagena, aber auch im angelsächsischen Raum, vor, dass Flaschen so auf das SKFB gelegt werden, dass Flaschenkopf und Boden zur Seite zeigen (also quer). Daher bewegt sich die Flasche nun bei Betätigung des SKFB nach hinten (sie rollt) und kracht unweigerlich in das Abendessen von Luis Jiménez. Der ist aber gerade mit dem Eintippen seines durch einen Voucher freigegeben Rabattcodes derart abgelenkt, dass er das Malheur nicht bemerkt. Und was sehr erschwerend hinzu kommt: Es gibt hier keine längsgerichteten Warentrenndreiecke um designiertes Privateigentum zu schützen. Natürlich bemerkt auch die Besitzerin Maria hermosa de la Fuente, sowie die Kassiererin nichts vom Unheil, da diese ja ebenfalls mit Eintippen beschäftigt sind. So ist die Verwirrung komplett und Stornierungen, die zu längeren Verzögerungen führen, sind zuweilen an der Minutenordnung. Das renommierte Institut von Single Research hat nun herausgefunden, dass sich das Problem relativ trivial lösen ließe, in dem man die Flaschen einfach gerade auf das Band legt und es damit höchstens zu minimalen Seitwärtsrotationen käme. Aber gut, vergessen wir nicht, was zwar einerseits zu Diskussionen über Hab und Gut führen kann, verlängert andererseits auch das Supermarktkassenansteherlebnis und zementiert den Exito auf Platz 1 in unserer Liste. Wozu zum Schluss auch noch folgender Punkt beiträgt: das verbindliche Ausdrucken der cuenta. Deren Inhalt studieren die meisten KundInnen nämlich genau und intervenieren nicht selten, wenn ihnen etwa das Abwiegen der Mangos doch ein wenig zu tendenziös erschien.
Schließlich geht das Warteerlebnis langsam zu Ende und man kann im Normalfall zum Exit im Exito schlendern. Sollte man jedoch Alkohol gekauft haben, darf man zumeist doch noch länger im Supermarkt verweilen. Dann kann es nämlich schon mal vorkommen, dass man seine Wohnadresse, Mail-Adresse etc. angeben und mit einer Unterschrift beglaubigen muss, nur weil man sich neben der hier sehr günstigen Avocado auch noch ein Club Colombia gekauft hat. In manchen Fällen darf man sogar noch ein Fotoshooting machen, da man eine Flasche Rum geschenkt bekommen hat. Die hat man sich wohl mit irgendwelchen Rabattcodes verdient, die man gar nicht mal besessen hat.
Ganz zum Schluss am Exit wartet dann in jedem Fall noch der Endgegner: Ein eigens angestellter Beamter, der nochmal deinen Kassenzettel kontrolliert, um sicherzugehen, das das Ei von dem man grad abgebissen hat, auch wirklich auf deinem Bon stand. Aber dann: Listo. Ole.
Was man abschließend auf alle Fälle sagen kann: Alle MitarbeiterInnen sind hier immer und ausnahmslos sehr freundlich. Sogar der Endkontrolleur wirft dir ein nettes Lächeln entgegen. Und auch dein Bier darfst du einfach in den Supermarkt mitnehmen. Alles in allem ist der Exito also nicht nur DAS Eldorado für Supermarktkassenanstehenthusiasten, sondern auch toll für alle Freunde des gepflegten Supermarktgangs.
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